Wo ist Tirol? - eine Spurensuche zum Jubiläumsjahr 2009

Eine Aktion der Vereine von Oberwielenbach zum Tiroler Gedenkjahr 1809 - 2009
KVW Vortrag
KVW Oberwielenbach Die KVW Ortsgruppe Oberwielenbach hat am Freitag, den 16. Oktober 2009, zum Vortrag "Die Familie im Wandel der Zeit" eingeladen. Als Referent konnte Dr. Hans Griessmair gewonnen werden.
Zu diesem anspruchsvollen Thema waren erfreulicherweise an die 30 Personen in das Vereinshaus von Oberwielenbach gekommen.

Die Familie im Wandel der Zeit

Die Familie stellt die älteste Einheit der Gesellschaft dar. Zugleich erfuhr sie im Laufe der Zeit auch die größten Veränderungen. Nach heutigem Empfinden steckt sie infolge von Wertewandel, ökonomischen Druck, Mobilität, usw. auch in ihrer größten Krise. Tatsache ist aber, dass der Mensch ohne Familie nicht lebensfähig ist.

Der Begriff "Familie" ist im deutschen Sprachraum interessanterweise durch die Aufklärung aufgekommen. Vorher wurde der Ausdruck "Haus" verwendet, der beim Adel auch heute noch existiert, z.B. Haus Habsburg. Die Familie stand ursprünglich für einen weit größeren Personenkreis, nicht nur die Kernfamilie (Eltern, Kinder, ...) waren Teil davon, sondern auch Sklaven, Diener, Knechte, Mägde oder Angestellte. Die Ausprägung war absolut patriarchalisch.

Spätestens im Mittelalter hat die Kirche die Ehegerichtbarkeit an sich gezogen: z.B. lehnte sie die bis dahin nicht unübliche Kusinenheirat ab. Gegen den Widerstand des Adels wurde die Konsensehe (beide müssen einverstanden sein) eingeführt. Forderungen wie Treue, gegenseitige Hilfe, Nachwuchspflicht, usw. wurden verlangt. Die Frau musste sich stark unterordnen, was sich erst allmählich verbesserte. Später wurde die Ehe zum 7. Sakrament erhoben. Mit dem Konzil von Trient, wo die kirchliche und öffentliche Trauung als einzig gültige definiert wurde, unterstrich die Kirche endgültig ihren Anspruch auf die alleinige Zuständigkeit für die Ehe. Luther lehnte die Ehe hingegen ab und sah sie nur als weltliche Einrichtung an.

Die Familienhierarchie war folgende: Vater, Mutter, Kinder, Dienstboten. Erstaunlicherweise vertrat genau die Aufklärung dieses traditionelle Familienbild: der Vater als Oberhaupt ernährt die Familie, die Mutter erzieht und behütet die Kinder, die wiederum folgsam sein müssen. Als Teil der Familie bzw. ein Verheirateter hatte den höheren Stellenwert als ein Lediger. Kuppelehen, besonders bei Adel, Bürgern und reicheren Bauern, waren gebräuchlich um die Besitztümer zu vergrößern bzw. zu erhalten. Die Frau hatte hier wenig zu sagen.
Andere, weniger häufigere Formen der Familie gab es ebenfalls: Freien mit Unfreien, Adlige mit nicht Standesgemäßen, Winkelehen (heimlich), außereheliche Kinder, die aber absolut keine Rechte besaßen.

Der Referent des Abends Dr. Hans Griessmair.

Die Situation in Tirol:

Das Leben war lange Zeit von großer Armut geprägt. Es gab meist Großfamilien. Im Mittelalter waren die Bauern hauptsächlich Lehensleute, d.h. Pächter. Heiraten durften sie nur mit Erlaubnis. Allmählich verschwand die Leibeigenschaft, die Höfe waren oft trotzdem nicht Eigentum der Bauern, sie durften sie aber an die Söhne weitergeben. Die Familiennamen entstanden aus den Namen der Höfe.

Es entwickelte sich das Erbrecht: Gab es zunächst noch das romanische Realrecht, d.h. der Vater teilte den Besitz zu gleichen Teilen auf die Söhne auf, so setzte sich schließlich das Ahnerbrecht durch, welches über Maria Theresa schließlich zum "Geschlossenen Hof" führte. Damit wurde der zunehmenden Verarmung Einhalt geboten, da den Besitz nur ein Sohn erbte. Die anderen Geschwister wurden ausbezahlt oder durften auf dem Hof als Angestellte bleiben. (Bemerkung: Die Faschisten wollten den geschlossenen Hof abschaffen, da sie ihn als Bollwerk des Deutschtums in Südtirol sahen).

Schwabenkinder: Im Frühjahr wurden Kinder eingesammelt und zum Arbeiten weggebracht. Sie kehrten dann im Herbst wieder zurück. Trotz schmerzhafter Trennung, war es oft eine Notwendigkeit um die bedürftigen Familien zu entlasten und für die Kinder eine Ernährung zu garantieren.

Wenn zu wenige eigenen Kinder da waren, wurden auch außenstehende Personen in die Familie hereingeholt. Für sie galten strenge Regeln bzgl. Beten am Abend, Essenszeiten, das Verhalten, Kirchgänge, usw. Diese Situation bestand bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Bei Knechten und Mägden gab es dabei eine strenge Hierarchie.

Üblicherweise lebten bis zu drei Generationen auf dem Hof. Bei der Hofübergabe zog der Altbauer oft als "Zuiheisla" in ein anderes Gebäude. Aus Existenzsorgen erfolgte die Hofübergabe oft sehr spät und dann mit genauer Regelung für Schenkungen, Verpflegung und Bleiberecht.

Bankeltochter: Wenn kein männlicher Erbe vorhanden war, erbte die älteste Tochter. Da sie, besonders bei gutsituierten Höfen, sehr begehrt war, erhielt sie diesen Namen.

Der Hof hatte einen großen Stellenwert, für den Opfer gebracht wurden. So mussten Geschwister zum Teil auch auf die Auszahlung verzichten. Auf der anderen Seite hatten sie oft auch Heimrecht, besonders behinderte Geschwister. Wegen ihrer verbrieften Rechte wurden sie auch "Hausbriefe" genannt.

Prinzipiell hatte die Familienform auch viele positive Seiten: Alles war sehr genau geregelt, wie Arbeitszeiten und Feiertage. Alles eingerechnet ergab sich über das Jahr ungefähr eine 40 Stundenwoche. Männer- und Frauenarbeit war klar getrennt. Christliche Grundsätze waren stark verfestigt, Moral und Religion von öffentlichen Interesse und nicht Privatangelegenheit.

Die Gemeinde war schon früher für Sozialfälle zuständig. Deshalb verweigerte sie in einigen Fällen auch den Ehehkonsens, wenn die angehenden Eheleute nicht die wirtschaftlichen Voraussetzungen mitbrachten. Arme Leute ohne Festanstellung schickte die Gemeinde auch tageweise von Hof zu Hof. Man nannte sie "Anleger" und sie wurden oft sehr schlecht behandelt (hohe Suizidgefahr).

Die Kinder: Die Familien waren sehr viel größer als heute, ungefähr alle zwei Jahre bekam die Frau ein Kind. Durch die hohe Frauensterblichkeit, kamen die Kinder der Familie oft aus mehreren Ehen hervor. Die "aufgeklärten" Bayern wollten für Kinder die Pockenimpfung einführen, was die Tiroler aber nicht wollten. Kinder wurden im Allgemeinen gut behandelt, vieles der Erziehung geschah durch das Vorleben durch die Eltern. Die Schulpflicht wurde unter Maria Theresia eingeführt, wurde aber nicht unbedingt positiv angenommen.

Den größten Einschnitt erlebte die Familie in Tirol in den 1950/60er Jahren, in anderen Regionen Europas hingegen vielfach schon viel früher. Durch Landflucht, Industrialisierung, usw. lösten sich die bisherigen Großfamilienformen auf. Nun gab es Haushaltsfamilien, Kernfamilien oder Kleinfamilien, oft in ärmlichen Verhältnissen. Der Arbeiter, Industriearbeiter oder Knecht hat nun seine eigene Familie. Der Knecht lebt nicht mehr auf dem Hof.

Heute befindet sich die Familie an einem kritischen Zeitpunkt, unter anderem bedingt durch den Werteverfall. Die Scheidungsrate ist infolge der wirtschaftlichen Verhältnisse extrem hoch.
Für junge Familien bräuchte es eine ganz andere Unterstützung. Durch den wirtschaftlichen Druck müssen sie schon zu Beginn des Familienlebens schwere Bedingungen bewältigen anstatt genau in dieser Phase die Familie "leben" zu können.

Der Ausschuss des KVW mit dem Referenten.